01. Juni 2024 SeminarLesezeit: 6 Minuten

Ich-Botschaften und ihre Tücken

In diesem Artikel möchte ich dich dazu einladen, mehr über das Thema Ich-Botschaften zu erfahren. Viele kennen diesen Begriff und verbinden ihn mit der Gewaltfreien Kommunikation. Allerdings haben Ich-Botschaften ihre Tücken. Welche, das lest ihr hier.

Was sind Ich-Botschaften eigentlich?

Ich-Botschaften sind in vielen Ratgebern eine Kommunikationsstrategie, die darauf abzielt, Konflikte zu minimieren und eine klarere, respektvollere Kommunikation zu fördern. Immer wieder stellen mir Teilnehmende in meinem Modul 1, Gewaltfreie Kommunikation (GFK), die Frage, ob sich die GFK auch um Ich-Botschaften dreht. Meine Antwort lautet daraufhin immer, dass es nicht um die Worte, sondern um die Haltung hinter den Worten und um die gelungene Fähigkeit der Selbstreflexion geht.

Zum Verständnis: Die sogenannten Ich-Botschaften bestehen typischerweise aus drei Elementen:
1. einer Beschreibung des eigenen Gefühls,
2. einer Beschreibung des Verhaltens des anderen, das dieses Gefühl auslöst,
3. einer Erklärung der Auswirkungen dieses Verhaltens auf einen selbst.

Spätestens beim 2. Punkt (mein Gefühl wird durch ein Verhalten des anderen ausgelöst) sind wir von GFK weit entfernt: Niemand kann mit seinem Verhalten ein Gefühl bei jemanden auslösen. Dahinter verbirgt sich das Denken: «Wenn du dich ändern würdest, würde es mir besser gehen» und führt vermutlich nicht in die gewünschte Richtung.

In der GFK ist es grundsätzlich so, dass wir die Verantwortung für unsere Gefühle selbst übernehmen und nicht in die Opferrolle fallen. Unsere Gefühle entstehen, weil unsere Bedürfnisse erfüllt oder eben unerfüllt sind. In die Opferrolle zu fallen kann bedeuten, dass wir wenig Selbstreflexion und vermutlich wenig Offenheit der anderen Person gegenüber zeigen.

Ich-Botschaften können verdeckte Vorwürfe beinhalten

Im Prinzip ist die Ich-Botschaft ein Versuch, möglichst nett zu sagen, was ich an meinem Gegenüber bemängle. Es besteht also die Gefahr, dass Ich-Botschaften zu scheinheiligen Du-Botschaften mutieren. Wie zum Beispiel: «Ich fühle mich wirklich traurig, wenn du immer so spät nach Hause kommst, weil es mich das Gefühl gibt, dass dir unsere Zeit zusammen nicht wichtig ist.»

Obwohl dies wie eine Ich-Botschaft klingt, enthält sie einen versteckten Vorwurf («dass dir unsere Zeit zusammen nicht wichtig ist»). Das ist in der GFK eine Interpretation. Vorwürfe bezeichnen wir in der GFK als die sogenannten Wölfe. Und Wölfe (Vorwürfe, Kritik, Analysen, Interpretationen) gehören in meinen Ausbildungen ausschliesslich ins Wolfsbuch eingetragen und dann bearbeitet – und nicht an das Gegenüber adressiert. Ein weiterer Unterschied zur GFK ist: Ich-Botschaften konzentrieren sich auf die eigenen Gefühle und Wünsche. Die GFK strebt als Aussage im Kontext eine wechselseitige Kommunikation an, also eine Offenheit, wie es dem anderen geht. So, dass beide Parteien gehört und verstanden werden. Unreflektierte Ich-Botschaften finde ich heikel, denn mit verdeckten Schuldzuweisungen kann das Gespräch in eine Abwärtsspirale laufen. Hier ein Beispiel für eine Abwärtsspirale:
  • Ich-Botschaft mit verdeckter Schuldzuweisung: “Ich finde es schade, dass du nie Zeit für mich hast.”
  • Reaktion: “Das stimmt doch gar nicht! Ich habe immer Zeit für dich, aber du bist diejenige, die ständig beschäftigt ist.”
  • Gegenreaktion: “Jetzt drehst du den Spiess um. Du weißt genau, dass ich viel arbeite, um unsere Familie zu unterstützen.”

Wann Ich-Botschaften destruktiv und manipulativ wirken

Verdeckte Schuldzuweisungen in Form von Ich-Botschaften lösen häufig eine Reihe von destruktiven Kommunikationsdynamiken aus. Darunter gehört, in die Defensive zu gehen, wenn man denkt, kritisiert oder angegriffen zu werden. Dann ist die Konzentration darauf gerichtet, sich zu rechtfertigen oder den Vorwurf abzuweisen.
Daraus ergeben sich zwei mögliche Resultate. Entweder Rückzug: Der Gesprächspartner zieht sich emotional oder physisch zurück, was die Kommunikation abbricht und keine Lösung des Konflikts ermöglicht. Oder Gegenangriff: Der Gesprächspartner antwortet mit eigenen Vorwürfen, was zu einem Teufelskreis von Anschuldigungen und Verteidigungen führt.
Ausserdem können versteckte Anschuldigungen das Gerechtigkeitsdenken (das bei mir sehr stark ausgeprägt ist) ankurbeln und das Urteil «unfair» auslösen. Die Interpretation von Ungerechtigkeit kann zu Frustration und Ärger führen, was die Bereitschaft zur Kooperation und zum konstruktiven Gespräch mindert.
Schlimmer noch: Diese Emotionen können die Kontrolle über das Gespräch übernehmen und zu einer Eskalation führen, bei der die eigentlichen Themen aus den Augen verloren werden und dann oft etwas gesagt wird, was später bereut wird. Worte sind machtvoll und wirken nach. Deswegen benötigt es hierzu viel Achtsamkeit in der Sprache.
Menschen haben zudem ein feines Gespür dafür, ob die Kommunikation ehrlich ist oder nicht, sie fühlen, ob jemand von sich spricht oder nicht und merken, wenn manipuliert wird. Kinder riechen das 10 Meter gegen den Wind. Wenn also in einer Ich-Botschaft, die eine versteckte Schuldzuweisung beinhaltet, ein Gefühl benannt wird, welches aber nicht kongruent beim Gegenüber ankommt, wird das Vertrauen in den Gesprächspartner und die Beziehung beeinträchtigt.
Bei Kindern ist dies ganz fatal, denn sie trauen ihrer eigenen Wahrnehmung nicht, weil sie sich nicht über die Autoritätsperson stellen. Ein Mangel an Vertrauen verschlechtert die Kommunikationsqualität weiter und verstärkt negative Gefühle. Ausserdem wird die Möglichkeit eines ehrlichen Austausches und einer Lösung des Problems gemindert, weil beide Parteien nicht bereit sind, offen für den anderen zu sein.
Durch eine Ich-Botschaft mit versteckter Schuldzuweisung wird die Kommunikation definitiv gestört, weil die eigentliche Botschaft nicht klar und direkt ist. Ich würde davon unbedingt abraten und es ist für mich persönlich eher gewaltvolle statt Gewaltfreier Kommunikation.

Ich-Botschaften erfordern sehr viel Selbstreflexion und emotionale Intelligenz

Gewaltfreie Kommunikation ist für mich Persönlichkeitsentwicklung. Herauszufinden, was einem wichtig ist und dafür einzustehen. Ein Weg zu sich selbst. Die Worte werden dann von allein gewaltfrei, sich selbst und anderen gegenüber. Ich kann euch versichern, dass ihr nach einer abgeschlossenen Ausbildung in Gewaltfreier Kommunikation nicht mehr über Ich-Botschaften nachdenkt.

Ich rate immer davon ab, im Zustand von emotionaler Überforderung aufgrund emotional aufgeladener Stimmungen zu reagieren. Wir Menschen neigen leider dazu, spontan und reaktiv zu handeln, was jedoch die gewünschte Verbindung oder das ersehnte Verständnis erschweren kann.

Ich-Botschaften, die gelingen sollen und für Verständnis sorgen, erfordern aus meiner Sicht ein hohes Mass an Selbstreflexion und emotionaler Intelligenz. Meistens wissen Menschen aber nur zu benennen, was sie stört. Gewaltfreie Kommunikation hilft seine Gefühle und Bedürfnisse klar zu identifizieren und zu kommunizieren und offen zu sein für die Gefühle und Bedürfnisse der anderen Person.

Ich habe bereits erwähnt, dass wir in der GFK die Verantwortung für unsere Gefühle voll und ganz übernehmen. Da fällt mir gerade ein Zitat von dem Begründer der GFK, Marshall B. Rosenberg, ein:

Verantwortung ist eine ganz wichtige Komponente. Das gehört zu den Dingen, die am schwierigsten zu vermitteln sind.

Marshall B. Rosenberg (1934-2015)

Ich werde nicht müde diese wichtige Komponente in meinen Ausbildungen zu vermitteln und somit zu mehr Frieden im Zwischenmenschlichen beizutragen!

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