
Wann die GFK nicht funktioniert
Inhaltsverzeichnis
Aus meiner Erfahrung heraus ist die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Marshall Rosenberg ein mächtiges Werkzeug. In dieser Folge möchte ich dir die Gründe aufzeigen, warum sie jedoch nicht für und mit allen Menschen oder in jeder Situation funktioniert.
Immer wieder höre ich, wenn ich die Prinzipien der GFK erkläre, von Teilnehmenden den Satz: „Das habe ich schon probiert, das geht nicht! “ Dabei ist es eigentlich total simpel. GFK basiert auf Empathie und dem Wunsch nach Verbindung. Wenn du nicht bereit bist, dich darauf einzulassen, geht es wirklich nicht!
Die Gründe dafür sind sehr vielschichtig. Marshall B. Rosenberg sagte selbst: „It’s simple but not easy“. Er verwendete diese Aussage oft, um die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) zu beschreiben – das Konzept ist leicht verständlich (einfach), aber in der Umsetzung oft herausfordernd (nicht leicht).
Warum GFK schwierig ist, wenn wir getriggert werden
GFK wenden wir vor allem an, wenn`s schwierig wird. Aber: In sehr stressigen oder emotional aufgeladenen Situationen reagieren wir oft automatisiert und emotional, also ohne bewusst darüber nachzudenken. Das heisst, wenn wir in einer Situation stark getriggert sind, es also ganz viel auslöst in uns, ist es schwer, reflektiert und einfühlsam zu kommunizieren. Im Gegenteil, wir gehen in das Kampf- oder Fluchtverhalten.
Zur Erläuterung: Kampfverhalten zeigt sich in laut werden, beleidigen, Verteidigung oder Gegenangriff, Sarkasmus oder abwertende Bemerkungen etc. Beim Fluchtverhalten wäre es schweigen, sich aus dem Gespräch zurückziehen, Ablenkung suchen (z. B. Natel, Themenwechsel), aufstehen und gehen. Dann gibt es noch die Erstarrung, welche sich äussert in nicht wissen, was man sagen soll, innerlich blockieren oder abschalten, sich hilflos oder taub fühlen oder abdriften. Oder als vierte Möglichkeit die Unterwerfung bzw. Anpassung durch übermässiges Entgegenkommen, Aufgabe des eigenen Standpunkts, Konfliktvermeidung durch Zustimmung, Bedürfnis nach Harmonie um jeden Preis.
Es sind völlig normale Überlebensmechanismen unseres Nervensystems. Diese automatisierten Reaktionen hängen von der Persönlichkeit, früheren Erfahrungen, der Persönlichkeitsentwicklung und der Fähigkeit der emotionalen Selbstregulation ab. Wenn ein Mensch getriggert wird, fühlt sich das Gehirn (insbesondere die Amygdala) bedroht und schaltet in den „Überlebensmodus“. Rationales Denken wird erschwert, weil Emotionen die Kontrolle übernehmen. Da fällt schnell mal der Satz „Du bist schuld!“ anstatt „Ich fühle mich gerade überfordert.“
In solchen Momenten kann es schwer sein, die Prinzipien der GFK anzuwenden. Und dann denkst du „GFK geht nicht!“
Oder du bist dir (noch zu wenig) deiner eigenen Bedürfnisse und Gefühle bewusst oder hast nie gelernt, diese auszudrücken. GFK ermutigt jedoch, deine Gefühle und Bedürfnisse offen zu benennen. Das kann als Schwäche oder Angst vor Verletzlichkeit empfunden werden. Dann wird GFK schnell mal als naiv oder überflüssig abgetan: „Ich brauche doch keine Kuschelsprache, um mich durchzusetzen!“ Wenn das der Fall ist, kann es schwer sein, die Prinzipien der GFK anzuwenden. Und dann denkst du „GFK geht nicht!“
Warum dir die Anwendung der GFK schwerfallen kann
In Kontexten mit starken Machtgefällen (z. B. autoritäre Führung, toxische Beziehungen) wird GFK oft nicht ernst genommen oder sogar als Schwäche ausgelegt. Vielleicht kann es sein, dass du deine Position nicht durch einfühlsame Kommunikation „gefährden“ willst. Womöglich hast du gerade das Buch von Marshall B. Rosenberg gelesen, vielleicht sogar einen Online-Workshop oder einen Basiskurs besucht und bist hochmotiviert. Jedoch diese Art zu kommunizieren, kommt dir ungewohnt, künstlich oder sogar technisch vor. GFK kann dann als „zu langsam“, „zu verkopft“ oder „unrealistisch“ empfunden werden.
Dann hörst du als Gegenreaktion womöglich: „Jetzt komm mir nicht mit deinen Bedürfnissen, ich bin einfach nur wütend!“ Ich erlebe immer wieder, dass die GFK dogmatisch angewendet wird, ohne auf die Dynamik der Situation einzugehen. Wenn mit einstudierten GFK-Sätzen gesprochen wird, kann das dann das Gegenteil bewirken, denn es kommt distanziert oder unecht rüber. Und im falschen Moment klingt das dann wie eine Provokation! Wenn dir das bekannt vorkommt, kann es schwer sein, die Prinzipien der GFK anzuwenden. Und dann denkst du „GFK geht nicht!“
Und damit sind wir beim nächsten Punkt: Unsere Ungeduld und das „antrainierte“ Effizienzdenken. Eventuell magst du Konflikte „schnell klären“ und dann kommt dir die GFK als umständlich oder langatmig vor. Und dann denkst du „GFK geht nicht!“
Manchmal wird die GFK nicht als ehrliche Strategie zur menschlichen Verständigung und echten Verbindung genutzt, sondern als Mittel zur Manipulation. Es ist legitim, kein Interesse an Verbindung zu haben, sondern sich durchsetzen zu wollen. Nach dem Motto: „Ich bin nicht hier, um über Gefühle zu reden. Ich will einfach gewinnen!“ Das hat allerdings nichts mit GFK zu tun. Denn wenn das Gegenüber Manipulation erkennt, kann es sich verweigern oder ablehnend reagieren. Dann geht es tatsächlich nicht und du bist frustriert und gibst GFK die Schuld.
Für mich ist GFK ist ein wertvolles Werkzeug, welches mir in unzähligen Situationen aus der Klemme hilft. Aber es setzt ein gewisses Mass an Offenheit und Reflexion voraus.
Zusammengefasst heisst das: Du denkst „GFK geht nicht!“, weil du vielleicht in einem Konflikt emotional überfordert bist, Angst vor Verletzlichkeit hast oder generell schlechte Erfahrungen mit Verbindung gemacht hast. Oder die Art, wie du GFK anwendest, noch zu mechanisch und ungeübt ist und auf dein vis-à-vis abschreckend wirkt.
Viele Menschen sind es nicht gewohnt, in echten Kontakt mit ihren eigenen Bedürfnissen oder denen anderer zu treten. Da fehlt schlicht und ergreifend die (positive) Erfahrung mit echter Verbindung. Es braucht oft Zeit und Übung, um eine echte Verbindung zu schaffen. Ich vermute, der Hauptgrund für die Aussage „GFK geht nicht!“ ist die Schwierigkeit, in einem Konflikt wirklich und wahrhaftig in Verbindung treten zu wollen. Und dieser Widerstand ist in meinen Augen legitim. Ich kenne ihn von mir und ich verurteile mich nicht für meine Grenzen.
Das steckt wirklich hinter dem Satz „GFK funktioniert nicht!“
Ich möchte mich dem Thema widmen, was wirklich hinter diesem Satz „Das habe ich probiert, GFK geht nicht!“ liegt. In vielen Fällen, wie bereits benannt, geht es um persönliche Verletzungen, unerfüllte Bedürfnisse und alte Wunden, die wir (bewusst oder unbewusst) mit uns tragen.
In meinen Seminaren erlebe ich immer wieder, dass die Teilnehmenden Mühe damit haben, ihre Gefühle und Bedürfnisse offenzulegen und zu benennen. Zum einen natürlich, weil der Wortschatz fehlt. Aber dafür gibt es ja Listen. Die nützen aber nur bedingt. Vielmehr haben Menschen gelernt, dass Verletzlichkeit (Gefühle benennen und für seine Bedürfnisse einzustehen) mit Ablehnung, Scham oder Schmerz verbunden ist. Da ist vielleicht eine Sorge, nicht ernst genommen zu werden, als schwach oder angreifbar zu wirken, und die tief eingeprägte Erfahrung, dass die eigenen Gefühle „nicht zählen“.
Viele Menschen sehnen sich nach echter Verbindung, haben aber erlebt, dass ihre Gefühle und Bedürfnisse ignoriert oder abgelehnt wurden. Wenn GFK nun betont, wie wichtig es ist Bedürfnisse zu äussern, kann das alte Wunden aufreissen, und wir schützen uns dagegen vehement mit Widerstand. Da kommt das Misstrauen hoch: „Warum sollte jetzt plötzlich jemand auf meine Bedürfnisse hören, wenn es nie so war?“ oder Resignation: „Ich habe schon so oft versucht, mich zu erklären – es hat nichts gebracht!“
In der Regel haben wir alle Erfahrungen mit Gewalt oder Machtmissbrauch oder autoritäre Strukturen gemacht. Dann kann gegenüber GFK ein Vorbehalt bestehen. Vor allem dann, wenn man gelernt hat, dass „freundliche Worte“ oft nichts bedeuten oder sogar benutzt werden, um Macht auszuüben. Da sind die Bedenken und Zweifel gross und wir denken: „Das ist doch nur eine andere Art, mich zu kontrollieren!“ oder „Nette Sprache hat mir früher auch nichts geholfen – ich musste mich durchsetzen!“. Wir sind innerlich hart geworden und kämpfen verzweifelt um das, was wir gerne erleben möchten. Die Angst, mit den eigenen Emotionen nicht gesehen, wertgeschätzt oder wohlwollend abgeholt zu werden, sitzt tief. GFK lädt jedoch ein, sich hier weiterzuentwickeln und sich offen zu zeigen. Und es ist nur eine Einladung für mehr Menschlichkeit und wahrer Verbindung, die du annehmen oder ablehnen darfst.
«Viele Menschen sind es nicht gewohnt, in echten Kontakt mit ihren eigenen Bedürfnissen oder denen anderer zu treten. Da fehlt schlicht und ergreifend die (positive) Erfahrung mit echter Verbindung. Es braucht oft Zeit und Übung, um eine echte Verbindung zu schaffen. »
Wie Du die GFK für dich nutzen kannst, um sie dann für andere zu nutzen
Die Herausforderung ist, Wege zu finden, wie du GFK so nutzen kannst, dass sie nicht als „Technik“ oder „Strategie“ wahrgenommen wird.
Hilfreich könnten diese Fragen zur Selbstreflexion sein: Warum löst GFK in mir Widerstand aus? Trifft einer der genannten Möglichkeiten bei mir zu? Welche Erfahrungen aus meiner Vergangenheit könnten mich geprägt haben? Gab es Momente, in denen ich frustriert war, weil ich nicht gesehen oder gehört wurde in meinen Emotionen und Bedürfnissen? Ehrliches Hinschauen tut weh, aber es ist der erste Schritt zur Heilung der unbewussten Verletzungen, die nie wirklich anerkannt wurden.
Ich empfehle immer, GFK erstmal für sich selbst auszuprobieren und nicht gleich damit Konflikte lösen zu wollen, sondern geduldig zu bleiben und sich nicht unter Druck zu setzen. Von mir selbst kenne ich, dass ich jahrzehntelang gewohnt war, meine Emotionen entweder zu unterdrücken oder sofort in Angriff oder Verteidigung umzuwandeln. GFK half mir, einen bewussteren Umgang mit meinen Gefühlen zu schaffen.
Es könnte hilfreich sein, dich zu fragen: „Was fühle ich gerade wirklich?“ (Nicht: „Was denke ich über die Situation?“). Auch körperlich zu spüren: Wo sitzt die Wut, die Frustration, die Traurigkeit? Einfach die Gefühle zulassen, ohne sie sofort zu „lösen“ oder „wegzudrücken“. Den Anspruch mal loszulassen, sofort ein Kommunikationsprofi zu werden. Es reicht, wenn du anfängst, deine Emotionen bewusster wahrzunehmen.
Ich finde, GFK ist wunderbar geeignet den eigenen Kommunikationsstil reflektieren. Wie kommuniziere ich eigentlich? Funktioniert meine Art zu kommunizieren für mich – oder führt sie oft zu Konflikten? Werde ich in Gesprächen oft missverstanden? Wie reagieren andere auf mich, wenn ich wütend oder verletzt bin? Es geht nicht darum, GFK perfekt zu machen, sondern darum, zu erkennen, ob die eigene Kommunikation wirklich das bewirkt, was man sich wünscht.
Wie bereits erwähnt, sind wir vielleicht innerlich hart geworden. Beim ständigen Kämpfen und Verteidigen ist uns allenfalls abhandengekommen, was wir wirklich brauchen. Hier gibt GFK uns die Bedürfnisse an die Hand. Anstatt auf Strategieebene zu kämpfen: „Ich will, dass der andere aufhört zu nerven“ lieber das benennen, was ich brauche: „Ich sehne mich im Miteinander wirklich nach Respekt, Sicherheit, Anerkennung“. Ich empfehle immer zuerst einmal, sich der eigenen Bedürfnisse bewusster zu werden, diese zu erforschen, für sich zu definieren und passende Handlungen zu suchen, um diese Bedürfnisse zu nähren.
Ein weiterer Aspekt: Wenn wir vorschnell die GFK ablehnen und behaupten, „das funktioniert nicht“, kommt das aus meiner eigenen Erfahrung aus tiefer Selbstkritik heraus. Hier kommen die Glaubenssätze, oder wie ich sie liebevoll benenne, die Wurzelwölfe, ins Spiel: „nicht gut genug“, „falsch“ oder „wertlos“ oder „es nicht richtig zu machen“. Sich diesen, meist unbewussten Gedanken mit GFK zu nähern, kann dir helfen, aus diesem Kreislauf herauszukommen, um mit dir selbst und anderen freundlicher umzugehen.
Ich hoffe, ich konnte Klarheit schaffen und ermutigen, die GFK langsam, spielerisch und neugierig auszuprobieren – vor allem für dich selbst. Auch Mini-Veränderungen wahrzunehmen und zu würdigen. Mit der Zeit fliesst die Empathie, die du für dich selbst mit GFK aufbringst, ganz automatisch und ganz natürlich in deine Kommunikation mit anderen ein.
Man muss GFK nicht lieben, so wie ich. Auch wenn du sagst: „GFK habe ich ausprobiert und funktioniert nicht.“– ich bin mir sicher, dass es für dich Elemente darin gibt, die das Leben leichter machen können. Sei es nur darum, sich selbst ehrlich zu begegnen, Emotionen zuzulassen und nach Wegen zu suchen, sich besser auszudrücken – auf eine Weise, die sich authentisch anfühlt und nicht nach GFK-Wörtern klingt.
In allen Modulen trainieren wir die authentische Anwendung der GFK mit vielen hilfreichen Übungen.