02. Februar 2024 SeminarCoachingPodcastLesezeit: 7 MinutenVon Uschi Kellenberger

Was empathisches Zuhören bewirkt – und wann wir unempathisch sind

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Wenn du einen Menschen in einer schwierigen Situation unterstützen möchtest, ist das grösste Geschenk, das du ihm machen kannst, ihm deine ungeteilte Aufmerksamkeit (Präsenz) und deine Empathie (Mitgefühl) zu schenken. Damit unterstützt du dein Gegenüber dabei, zu sich zu kommen und Klarheit in seiner Lage zu bekommen. Was eine empathische Verbindung jedoch unmöglich macht, sind viele gutgemeinte Ratschläge.

Was ist unempathisches Verhalten?

Nehmen wir an, eine Freundin kommt und erzählt: „Ich habe heute meinen Job verloren, und ich mache mir grosse Sorgen um meine Zukunft“.

Marshall Rosenberg, Begründer der GFK, empfahl folgende Kommunikationswege zu vermeiden:
• Ratschläge geben (z.B.: Du könntest dich sofort nach neuen Stellen umsehen oder dich weiterbilden)
• urteilen (z.B.: Du musst dich nicht wundern, dass es nichts geworden ist, mit der Einstellung, die du hattest)
• beschwichtigen (z.B.: Naja, das wird schon irgendwie klappen mit einem neuen Job)
• ablenken (z.B.: Oh, übrigens, hast du die neue Netflix-Serie gesehen)
Wenn wir auf diese Weise auf das Anliegen unseres Gegenübers reagieren, könnte es sein, dass die andere Person denkt, sie werde abgewiesen, in eine Ecke gedrängt, nicht ernst genommen und/oder nicht verstanden. Das kann die emotionale Belastung erst recht verstärken. Die Person erlebt, dass sie mit ihren Meinungen oder Erfahrungen abgewertet wird. Das kann zu Entmutigung und Frust führen und den Druck, der sowieso schon auf ihr lastet, sogar noch erhöhen.
Du tust ihr also nichts Hilfreiches mit dieser Art der Kommunikation, obwohl du beste Absichten hast. Menschen sind fühlende Wesen und suchen in erster Linie emotionale Unterstützung. Wenn du nicht empathisch bist, kann es sein, dass du in diesem Moment mehr auf dich und dein Ziel (Bedürfniserfüllung) konzentriert bist.

Du könntest den Gedanken haben: «Ich möchte, dass wir den Tag geniessen, anstatt Probleme zu wälzen.» Damit möchtest du dein Bedürfnis nach Leichtigkeit und Lebensfreude erfüllen. Der Fokus auf dein Bedürfnis kann jedoch einschränkend wirken und dazu führen, dass du im Gespräch nicht so gut auf den anderen eingehen und weniger auf seine Bedürfnisse und Gefühle achten kannst, weil du deine Bedürfnisse in unerreichbare Ferne gerückt siehst. Dann bist du nicht mehr offen für den anderen und sein Anliegen.

Weitere Indizien für unempathisches Zuhören

Daran kannst du erkennen, ob du gerade unempathisch auf das, was dir jemand anvertraut hat, reagierst:
• wenn du durch die Erzählung der anderen Person mit ihr mitleidest
• wenn dir keine Begrifflichkeiten einfallen (fehlender Gefühle- und Bedürfniswortschatz)
• wenn du Ratschläge anbietest
• wenn du absolut lost und sprachlos bist
• wenn du moralisierst und anfängst zu predigen
• wenn du beschwichtigst und herunterspielst
• wenn du anfängst, psychologisch zu analysieren
• wenn du in Widerspruch gehst
• wenn du dich ertappst, zu denken, dass die andere Person nicht so ein Theater wegen einer Lappalie machen soll
Das Gespräch verläuft dann nicht konstruktiv ab, die Beteiligten gehen irritiert, verwirrt und unzufrieden auseinander. Das kann erschöpfend sein und viel Kraft kosten. Danach benötigt jeder Zeit, um sich wieder zu erholen.

Was Empathie bewirkt

Ich beschäftige mich seit 2008 mit der Gewaltfreien Kommunikation, deren Hauptfokus auf der Empathie liegt. Sie hat aus meiner Sicht viele positive Auswirkungen auf unser Leben und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie ist ein wichtiger Bestandteil der emotionalen Intelligenz, also der Fähigkeit, unsere eigenen Emotionen zu verstehen und mit den Emotionen anderer Menschen umzugehen.

In meinen Ausbildungen zur Gewaltfreien Kommunikation unterstütze ich Menschen dabei, das empathische Zuhören zu erlernen. Bereits im Modul 1 mache ich eine Empathie-Übung. Zuerst lasse die Teilnehmenden hinterher beschreiben, wie es ihnen gegangen ist, wenn ihnen empathisch zugehört wurde. Ich erhalte folgende Antworten:
1. Ich denke nicht, dass an mir etwas falsch ist.
2. Ich bekomme Klarheit über meine Gefühle und Bedürfnisse in meinem Anliegen.
3. Ich fühle mich gehört und verstanden.
4. Dass ich wertfrei angehört und angenommen werde, schafft Vertrauen.
5. Die Verbindung zwischen mir und dem anderen verändert unsere Umgangsform.
6. Es ist gut, dass wir beim Thema bleiben und nicht abschweifen und die andere Person plötzlich von sich redet.
7. Ich bekomme Anerkennung und Bestätigung für meine Situation.
8. Ich erlebe Verständnis, Akzeptanz Erleichterung. Das macht zufrieden und gelassen und löst Freude aus
9. Ich habe gespürt, wie ICH gesehen wurde.

Dann berichten die Teilnehmenden, die selbst empathisch zugehört haben, von ihrer Erfahrung:

1. Ich nehme den anderen bewusster und differenzierter wahr.
2. Die neutrale und wertfreie Herangehensweise schützt meine Energien.
3. Empathie ist leicht: Ich muss nichts interpretieren.
4. Ich lerne durch die Erfahrung des anderen.
5. Ich erfahre mehr von dem anderen.
6. Mein Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen wird gestärkt.
7. Vorurteile werden abgebaut.
8. Das Miteinander ist verhältnismässig friedlicher.
9. Es fördert ein Runterkommen, ein Gefühl von Ruhe, ein Wohlgefühl.

Es ist wichtig, wertfrei angehört zu werden, weil es dazu beitragen kann, dass wir uns verstanden und akzeptiert fühlen. Das gibt Sicherheit und Vertrauen in den Gesprächspartner und die Begegnung wird entspannter. Nicht nur im privaten Kontext, sondern auch im beruflichen. Wenn wir erleben, dass unsere Meinungen und Erfahrungen wertgeschätzt werden, können wir uns sicherer und wohler fühlen. Wenn wir unsere Gedanken und Gefühle mit anderen teilen, führt das zu mehr Offenheit. Man begegnet sich im Menschsein.

Voraussetzungen für Empathie

Empathie, sich in andere hineinzuversetzen, ist eine wichtige soziale Fähigkeit, die vor allem durch Übung und Bewusstsein wiederentdeckt werden kann. Je mehr du dich dir und deiner eigenen Empathie widmest, desto besser wirst du in der Lage sein, einfühlsam mit deinen Mitmenschen umzugehen und eine tiefere Verbindung zu ihnen aufzubauen. Also es ist eine Voraussetzung, dass du ein Bewusstsein für deine eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Reaktionen schaffst. Ebenso, dass du im Hier und Jetzt bist, also dich auf die Gefühle und Bedürfnisse deines Gesprächspartners konzentrieren kannst, ohne abgelenkt zu sein. Es braucht eine Offenheit gegenüber den Erfahrungen anderer, selbst wenn sie sich von deinen eigenen unterscheiden. Es ist wichtig, nicht ins Urteilen zu kommen.
Empathische Menschen haben Routine im Umgang mit eigenen «Auslösern» gelernt. Sie bleiben in schwierigen Situationen offen und können die eigenen und die Bedürfnisse der anderen Person leichter erkennen. Sie sind seelisch stabil und emotional gut genährt, geerdet und gelassen. Sie nehmen nichts mehr persönlich, und zwar nicht aus Überheblichkeit, sondern weil das Selbstvertrauen und der Selbstwert nachhaltig gestärkt wurden. In Wertschätzung ihrer eigenen Person haben sie sich angeeignet, selbstbestimmt zu agieren, unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des anderen. Sie geben konfliktlösenden Werten wie Respekt, Achtung und Mitgefühl mehr Gewicht. Das sind Grundvoraussetzungen, um anderen urteilsfrei und empathisch zu begegnen.
Empathie erfordert also ein gewisses Mass an Erfahrung, Aufmerksamkeit, Geduld und Einfühlungsvermögen. Um empathisch reagieren zu können, braucht es natürlich einen Wortschatz der Begrifflichkeiten für Gefühle und Bedürfnisse. Auch eine Klarheit darüber, was Gefühlswörter im Gegensatz zu sogenannten Nicht-Gefühlswörtern sind. Ebenfalls ist eine Klarheit darüber nötig, wie sich Bedürfnisse von Strategien unterscheiden.

Welchen Zugewinn habe ich durch die empathische Haltung, ganz abgesehen davon, wie hilfreich es für mein Gegenüber ist?

Indem wir uns und unsere eigenen Gefühle verstehen und vor allem zu regulieren gelernt haben (das bedeutet nicht, sie zu unterdrücken!), können wir die Gefühle anderer besser verstehen. Wir lernen, wie wir auf bestimmte Situationen reagieren sollten, um unsere eigenen Emotionen und die der anderen zu berücksichtigen. Dann kommen wir in die angenehme Lage, das Anliegen anderer besser zu verstehen und auf ihre Bedürfnisse und Gefühle einzugehen, was zu mehr Vertrauen und Verbundenheit führen kann.

Wichtig zu erwähnen: Das bedeutet nicht zeitgleich, dass wir die Bedürfnisse der anderen erfüllen müssen oder womöglich die eigenen verleugnen. Wir sind eher bereit, anderen zu helfen und sie zu unterstützen, weil wir gut mit unseren Bedürfnissen verbunden sind und bewusst abwägen können, ob wir das wollen und ob wir es freiwillig wollen. Das steigert auch unser eigenes Wohlbefinden und unsere Zufriedenheit. Empathie fördert Resilienz: Du wirst widerstandsfähiger werden und besser mit Stress und Herausforderungen umgehen können. Es führt zu innerer Ruhe und Gelassenheit. Und noch etwas: Wenn es uns gelingt empathisch zuzuhören, können wir Missverständnisse oft vermeiden oder lösen.

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